Meine Forschungsprojekte verbinden zweierlei: Erstens geht es darum, in theoretischer und empirischer Hinsicht Grundlagenforschung zu leisten. Und zweitens geht es darum, im Sinne der transdisziplinären Ausrichtung des ZRWP Fragestellungen und Probleme zu bearbeiten, die für die Gegenwart moderner demokratischer Gesellschaften relevant sind. Aktuell richtet sich der Fokus auf mehrere Forschungsprojekte, die u.a. in der Nachfolge des SNF-geförderten KONID-Projekts und des älteren universitären Forschungsschwerpunkts „Religion und gesellschaftliche Integration (REGIE)“ der Universität Luzern in der jüngeren Zeit entstanden sind.
Politik und Religion – empirische politische Theorie
Die Forschung zu Politik und Religion hat in den letzten Jahren ganz erhebliche Fortschritte gemacht; Frucht der europaweiten Anstrengungen, wie sie etwa im ZRWP, im Exzellenzcluster der Universität Münster, in der Forschungsplattform Religion und Transformation der Universität Wien oder in standortübergreifenden Initiativen wie der ECPW Standing Group „Politics and Religion“ oder dem DVPW-Arbeitskreis „Politik und Religion“ gebündelt sind. Die zahlreichen Einzelbefunde haben deutlich gemacht, dass es sich beim Forschungsfeld Politik und Religion um eine Querschnittsaufgabe der Politikwissenschaft mit sehr starken interdisziplinären Bezügen handelt. Eine der wichtigen Zukunftsfragen der politikwissenschaftlichen Forschung in diesem Feld ist die nach den adäquaten Theorien und Modellen, die es erlauben, Forschungsergebnisse miteinander ins Gespräch zu bringen und vergleichbar zu machen. Meine Publikationen möchten ein Angebot dazu machen. Ausgehend von dem von allem in der Vergleichenden Politikwissenschaft verbreiteten Ansatz eines strukturell-funktionalen Politikmodells werden religiöse Interessen und Akteure in ihrem Bezug zum politischen System, zum Regierungssystem und zur Gesellschaft theoretisch definiert und eingeordnet. Die dabei entwickelten Modelle kreisen um die Konzepte Demokratie, Macht und Einfluss, Prozesse politischer Entscheidungsfindung, politische Unterstützung, politische Institutionen, Strukturen und Kulturen, Mehrebenensysteme, Religionsfreiheit, Religionspolitik, Zivilgesellschaft, intermediärer Raum und nicht zuletzt gesellschaftliche Integration und soziale Identität. Da eine empirische politische Theorie nur in der Anwendung auf empirische Forschungsfragen und –gegenstände überzeugt bzw. entwickelt werden kann, habe ich meine Modelle und Konzepte bislang oftmals in empirischen Publikationen etwa zu Religion und Zivilgesellschaft, Religion und sozialen Identitäten oder zum Katholizismus integriert.
Religion und gesellschaftlicher Zusammenhalt
Wie und was hält Gesellschaft zusammen? Dies ist seit ihren Anfängen eine der Kernfragen sozialwissenschaftlicher Forschung. Die vielschichtige Krise der Gegenwart aus Klimawandel, Corona, Ukraine-Krieg und Energiemangel verschafft dieser Frage eine ganz neue Brisanz. Sie ist eine der zentralen Zukunftsfragen für die Schweizer Gesellschaft sowie unsere Demokratie schlechthin. Welche Faktoren tragen zum Zusammenhalt bei? Wann und warum fühlt sich jemand zugehörig – und zu was? Welche Rolle spielen dabei Religion, Wirtschaft und Politik? Diese Fragen sind zentral, wenn wir verstehen wollen, warum Gesellschaften zusammenhalten – oder auseinanderbrechen. Genau hier setzt das neue Projekt des Zentrums für Religion, Wirtschaft und Politik (ZRWP) der Universität Luzern an.
Religion und Radikalisierung
Prozesse politischer Radikalisierung betreffen zwar nur sehr kleine Bevölkerungskreise, stellen aber für freiheitliche Gesellschaften eine beachtliche Gefährdung dar. In den vergangenen Jahren konnte die Terrorismus- und Radikalisierungsforschung bedeutende Fortschritte verzeichnen. Vor allem war eine Verlagerung zu quantitativen und Mixed-Method-Ansätzen in der Untersuchung von Radikalisierungsmerkmalen und -verläufen und ein Wandel vom Warum zum Wie zu beobachten. Das RPSI-Forschungsprojekt möchte die Annahme überprüfen, ob dschihadistische Radikalisierung aus einer Kombination von Effekten der Netzwerkschliessung und einer Transformation individueller und sozialer Identitäten innerhalb dieser Netzwerke resultiert. Es untersucht die Forschungsfrage, ob Individuen von pietistischen und politischen nicht-gewaltaffinen Formen des Salafismus zu einem militanten Dschihadismus, welcher politische Gewalt legitimiert und fördert, aufgrund der Schliessung ihrer sozialen Netzwerke und dem Wandel ihrer sozialen Identitäten im Zuge der Hinwendung zum dschihadistischen Milieu konvertieren. Die grundlegende Hypothese des Projektes, welche auf Religionsökonomie, Sozialkapital-Theorie und der Theorie Sozialer Identitäten rekurriert, geht davon aus, dass die Kombination beider Prozesse – Netzwerkschliessung und Identitätswandel – die Wahrscheinlichkeit von Radikalisierung deutlich steigern.
Konfigurationen individueller und kollektiver religiöser Identitäten und ihre zivilgesellschaftlichen Potentiale. Repräsentative Befunde für Deutschland und die Schweiz im Vergleich (KONID)
In diesem laufenden, vom SNF und von der DFG-geförderten Forschungsprojekt untersuchen Gert Pickel (Leipzig), Anastas Odermatt (Luzern), Yvonne Jaeckel (Leipzig), Alexander Yendell (Leipzig) und ich die Rolle von sozialen Identitäten und speziell religiösen Identitäten in der Gegenwart. Dazu haben wir 2019 in Deutschland und der Schweiz den KONID Survey 2019 mit jeweils rund 3.000 Befragten durchgeführt. Diese Umfrage liefert erstmals ein umfangreiches Befragungsinstrumentarium, das religiöse Identitäten in den Kontext von rund 20 anderen sozialen Identitäten stellt und deren Wirkungen in Zivilgesellschaft und Politik untersuchbar macht. Das Projekt ist der quantitative Bestandteil des interdisziplinären, einem Multi-Method-Ansatz verpflichteten Gesamtprojekts RESIC. Unsere Umfragedaten zeigen: Ob für die Integration von Gesellschaft oder für die Verbreitung von Vorurteilen – Religion ist und bleibt ein ambivalentes Phänomen, das in seinen Einzelheiten untersucht und verstanden sein will.
Religionspolitik in Deutschland und der Schweiz seit 1990
„Kopftuchverbote“ in Deutschland Mitte der 2000er Jahre und die international beachtete „Anti-Minarett-Initiative“ in der Schweiz von 2009 markieren wichtige Daten eine Rückkehr und Intensivierung aktiver Religionspolitik seitens des Staates in beiden Ländern. Religionspolitik zielt auf die Gestaltung religiöser (und gesellschaftlicher) Vielfalt mit den Mitteln demokratischer (Mehrheits-)Entscheidungen. Sie setzt Religionsfreiheit und den Grundrechtsschutz voraus, geht aber in ihren Steuerungsabsichten über die ältere Zurückhaltung im Staat-Religionen-Verhältnis hinaus. Stärker als in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielt heute der Parteienwettbewerb eine Rolle. Mittlerweile sind die religionspolitischen Materien äußerst zahlreich und vielfach mit anderen Politikbereichen wie der Integrations- und Sicherheitspolitik verwoben. In meinen Forschungen zur Religionspolitik, die mit den frühen Kopftuchverboten in Deutschland einsetzen, geht es darum, die Entwicklungslinien, Handlungsoptionen und normativen Grundlagen und Implikationen sichtbar zu machen. Eine eigene interne Datenbank ist im Laufe der Jahre in Zusammenarbeit mit Laura Lots and Johannes Saal (beide Luzern) entstanden, die das empirische Rückgrat meiner Forschung darstellen.
Schweizer Meta-Datenbank Religionszugehörigkeit in Europa/ Swiss Metadatabase of Religious Affiliation in Europe (SMRE)
Man sollte meinen, dass die Frage der Religionszugehörigkeit in Europa ebenso leicht beantwortet wie gestellt werden kann. Ein Blick in die amtlichen Statistiken und Umfrageergebnisse, und man weiß, wer in welchem Land zu welcher Religionsgemeinschaft gehört, welche Religionsgemeinschaften wo verbreitet und dominant sind und wie viel Menschen ohne Religionszugehörigkeit wo leben. Im Rahmen meines Teilprojektprojekts von REGIE hatte sich aber gezeigt, das höchst unterschiedliche Zahlenangaben im Umlauf sind und dieser fundamentale Sachverhalt der Sozialstruktur der europäischen Staaten und ihrer Bevölkerungen faktisch über weite Strecken ungeklärt gewesen ist. Im SMRE-Projekt haben Anastast Odermatt (Luzern) und ich die unterschiedlichen Daten in einer eigenen Meta-Datenbank zusammengeführt. Sie liefert nun eine verlässliche Schätzung für zwei Zeiträume. Damit konnte im Sinne einer Grundlagenforschung für die empirischen Religionsforschung eine bessere, weil verlässliche statistische Ausgangsbasis bereitgestellt werden. Von 2015 bis 2018 wurde das Projekt vom Schweizer Nationalfond (SNF) gefördert. Die finalen Schätzungen für 2000 und 2010, zahlreiche interaktive Auswertungs- und Berichtsmöglichkeiten und unsere Publikationen finden Sie auf der SMRE- Homepage. (www.smre-data.ch)